Die Geschichte der Zukunft by Heinlein Robert A

Die Geschichte der Zukunft by Heinlein Robert A

Autor:Heinlein, Robert A. [Heinlein, Robert A.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2017-04-18T16:00:00+00:00


»WENN DAS SO WEITERGEHT …«

1

Es war kalt auf dem Wall. Ich schlug meine erstarrten Hände zusammen und hörte aus Angst, den Propheten zu stören, gleich wieder damit auf. In dieser Nacht hatte ich meinen Posten genau vor seinen Privaträumen, und diesen Posten hatte ich mir errungen, indem ich bei der Wachablösung mehr als die übliche Sorgfalt auf vorschriftsmäßige Kleidung und zackiges Benehmen verwandt hatte … Aber jetzt wünschte ich mir durchaus nicht, Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

Ich war damals jung und nicht allzu helle – ein frisch von West Point gekommener Legat und Gardist bei den Engeln des Herrn, der Leibgarde des inkarnierten Propheten. Bei meiner Geburt hatte meine Mutter mich der Kirche geweiht, und als ich achtzehn war, hatte mein Onkel Absolom, ein Senior-Laienzensor, vom Ältestenrat eine Berufung an die Militär-Akademie für mich erwirkt.

In West Point hatte es mir gefallen. Oh, ich hatte an dem üblichen Gemecker unter den Kameraden teilgenommen, an den beinahe rituellen Beschwerden, die es bei allen militärischen Einrichtungen gibt, aber in Wahrheit sagte mir der klösterliche Tagesablauf zu: Aufstehen um fünf, zwei Stunden Gebet und Meditation, dann Unterricht in den zahlreichen Themen einer militärischen Ausbildung, Strategie und Taktik, Theologie, Mob-Psychologie, Mirakel für Anfänger. Am Nachmittag übten wir mit Vakuum-Gewehren und Lasern, exerzierten mit Panzern und ertüchtigten unsere Körper.

Mein Abschlusszeugnis war keins von den besten, und ich hatte im Grunde nicht damit gerechnet, zu den Engeln des Herrn berufen zu werden, obwohl ich mich darum beworben hatte. Aber ich hatte immer erstklassige Noten in Frömmigkeit bekommen und war recht gut in den meisten praktischen Fächern. Ich wurde also erwählt. Es erfüllte mich mit einem beinahe sündhaften Stolz – das heiligste Regiment unter den Heerscharen des Propheten, in dem noch der unterste Dienstgrad aus Offizieren bestand und dessen Chef, des Propheten triumphierendes Schwert, der Marschall aller Heerscharen war. An dem Tag, als mir der glänzende Schild und der Speer verliehen wurden, Waffen, die nur die Engel trugen, gelobte ich, sobald die Beförderung zum Captain mir das Recht dazu gab, einen Antrag auf Zulassung zum Priesteramt zu stellen.

In dieser Nacht nun, Monate später, glänzte mein Schild immer noch hell, aber auf meinem Herzen war ein Fleck. Irgendwie war das Leben in New Jerusalem nicht so, wie ich es mir in West Point vorgestellt hatte. Palast und Tempel brodelten vor Intrigen und Politik; Priester und Diakone, Staatsminister und Palastfunktionäre beteiligten sich anscheinend alle an dem Gerangel um Macht und die Gunst des Propheten. Sogar die Offiziere meines eigenen Korps waren davon angesteckt. Unser stolzes Motto »NON SIBI, SED DEI« hatte jetzt in meinem Mund einen üblen Beigeschmack bekommen.

Nicht etwa, dass ich selbst ohne Sünde gewesen wäre. Zwar hatte ich an dem Kampf um weltliche Vorteile nicht teilgenommen, aber ich hatte etwas getan, wovon ich in meinem Innern wusste, dass es schlimmer war: Ich hatte eine geweihte Schwester mit Verlangen angesehen.

Bitte, verstehen Sie mich besser, als ich mich damals selbst verstand. Ich war körperlich ein erwachsener Mann, an Erfahrung jedoch ein Kind. Meine Mutter war die einzige Frau, die ich jemals näher gekannt hatte.



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